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Sexualkunde für Ingenieure (dritter und letzter Teil)

[whohit]Sexualkunde für Ingenieure (dritter und letzter Teil)[/whohit]

Humorvolle Leute haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Besondere am HTL-Unterricht die Kombination von Theorie und Praxis sei, und meinten, mir Materialien über Sextechniken zusenden zu sollen.

Dem Argument kann ich mich nicht prinzipiell verschließen, aber schon ein kurzer Blick auf solche Erzeugnisse hat mich überzeugt: Die haben keine Ahnung von Technik!

Als ob es darum ginge, dort und da draufzudrücken oder zwei Teile glatt zusammenzufügen und fertig!

Die können einen Homo erectus mit Faustkeil nicht von einem Leonardo da Vinci unterscheiden! Solche Vorgänge Technik zu nennen ist peinlich und unstatthaft, ohne Reiz und ohne Stil.

Natürlich gibt es eine Bandbreite zwischen dem Technikus, der eine klare Anleitung umzusetzen versteht, und wahren Ingenieuren, die noch nie da Gewesenes schaffen.

Aber wenn wir etwa von Güllichs Klettertechnik oder Ronaldos Spieltechnik reden, von Michelangelos Maltechnik oder von Bach’s Kompositionstechnik, dann meinen wir jedenfalls einen Kompetenzgrad, der dem Objekt gerecht wird, der Gestaltungsfreiheit ermöglicht, den man nicht ergoogeln und nicht einem Roboter überlassen kann.

Mit Blick auf das Ganze Möglichkeiten zu erfassen, Hindernisse auszuräumen und Beziehungen zu festigen, sei die Aufgabe nun Brautschau, Karriereplan oder erstmal Maturaprojekt, diese konstruktive Mentalität ist das Mysterium des Homo faber.

Einfache Rezepte spiegeln einfache Gemüter; ich möchte meinen geschätzten Lesern stattdessen die universelle Struktur glückender Begegnungen darstellen.

 

1. Es beginnt mit Aufmerksamkeit

Es muss einem ja erst einmal auffallen, dass da etwas Attraktives ist, etwas Unerwartetes, etwas, wo man sagt: Interessant!

Viele Dinge machen sehr aktiv auf sich aufmerksam wie Glühwürmchen, die einen Partner anwerben wollen. Aber die tiefere Finesse bemerkt man nicht gleich.

 

Was mich zum Beispiel wundert, ist:

Warum eigentlich wird dem Glühwürmchen nicht heiß?

Natürlich ist da kein Glühfaden drin und es wird auch sonst nichts verheizt.

Aber wie ist es möglich, dass die Lichterzeugung dermaßen effizient ist, dass keine relevante Abwärme entsteht? Wie geht das? Interessant, nicht wahr?

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Soll ich dem nachgehen?

Wenn ja, in welchem Umfang? Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

 

Eher als kurze Unterhaltung oder länger dauernd?

Begegnet uns das später wieder einmal?

Soll ich mich ernstlich darin vertiefen?

 

Was kann das kosten? An Zeit und an Geld, auch an Nerven und womöglich Ansehen. Lohnt sich das? Wie sieht die Konkurrenz aus?

Es gibt andere interessante Dinge und auch andere Leute, die Leuchtkäfer kennen.

 

Bei genauer Betrachtung des Umfelds erfährt man noch, dass es diese Lumineszenz auch bei Quallen, Krebsen oder (Foxfire-)Pilzen gibt. Das konkrete Aussehen, die aktuelle Hülle, ist also nicht so wichtig, es kommt darauf an, was dahinter ist.

 

Wir wollen uns doch dem Subjekt einmal nähern.

 

2. Man braucht Phantasie

Im Buch “Citizen Engineer” skizziert Greg Papandopoulos Anforderungen an den Ingenieur, wenn denn dereinst alles grün und sustainable werden muss.

In diesem Zusammenhang: Leuchten, die nicht warm werden?

Genial. Das hat doch Charme. Was für ein Gewinn für die Energiewende!

Bei allem Wirklichkeitssinn regt sich im Ingenieur ein Möglichkeitssinn (wie Musil das genannt hat), ein Gefühl, das sagt: Da geht was!

Da kann man doch was draus machen, etwas Spannendes.

 

Unfrisierte Gedanken zuerst, wie eine Bio-Leselampe oder aber eine riesige Glühwürmchenfarm. Man stelle sich vor: Eine Solarfarm, die tagsüber von der Sonne beschienen wird und nachts von Glühwürmchen! Das ganze Problem des Energiespeicherns wäre erledigt.

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Jetzt will ich es doch genauer wissen. Zumindest ein paar Versuche machen und unter dem Mikroskop studieren.

Zuerst muss ich das Wesen einmal anlocken und einfangen.

Ich könnte ihm Futter bieten oder zublinzeln und eine gute Partie simulieren.

Ich könnte es in Trance versetzen, damit es immer heller strahlt.

Allerhand kann man durchspielen. Es heißt Reaktionen auslösen, Bewegung in die Sache bringen. Man muss also wirklich stimulieren, testen, probieren, einen Plan entwerfen, langsam den Schleier lüften.

 

Wer sich schwer tut, ein Repertoire von mindestens drei Ansätzen zu haben, sollte besser nicht Ingenieur werden. Ohne Ideenreichtum geht es in der Liebe genau so wenig wie in der Technik.

 

3. Kleine Schritte sind sicherer

Alles ist schwieriger als gedacht, besonders beim ersten Mal, unendlich viel kann schief gehen. Das angestrebte Ziel kann sich verändern, kann sich anders darstellen, kann durch geänderte Umstände in einem neuen Licht erscheinen, kann zu kompliziert sein. Dann ist es in manchen Fällen einfach unumgänglich, die Bemühungen abzubrechen oder zu vertagen.

 

Die vermutlich wichtigste Erfolgsstrategie aller Zeiten ist die, eine Aufgabe in kleine Teilschritte zu zerlegen, die dann wesentlich leichter zu bewältigen sind.

 

Tasten wir uns an das Thema einmal behutsam heran:

Es gibt da diese Leuchtstäbe, die man auf Partys oder in Notfällen verwenden kann: Wenn man sie knickt, fließen Chemikalien ineinander, die dann zu leuchten beginnen. Das nennt sich nun nicht Biolumineszenz, sondern Chemilumineszenz, funktioniert aber wahrscheinlich ganz ähnlich. Damit kann man experimentieren, das Modell kann man wahrscheinlich leichter verstehen als lebendige Riesenmoleküle.

Die lustvollsten Beschäftigungen können langweilen, wenn man nicht dafür bereit ist. Wer bei Chemie gleich die Nase rümpft, dem entgehen ihre Reize.

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Mit der Zeit entwickelt sich eine Beziehung, man wird vertraut mit seinem Gegenüber, hat ermutigende Erfolge, kommt einander näher und kann sicherer entscheiden, wie es weitergehen soll.

 

4. Meisterschaft dauert

Manche nennen es Fleiß, manche Hartnäckigkeit, manche Passion, solche Leute ringen um ihr Werk mit einer schwer zu erklärenden Hingabe, die die ganze Existenz erfasst. Ein typischer Charakterzug ist ein Hang zu Minimalismus, zu einer eleganten Architektur, zu Multifunktionalität. Die sorgsame Auswahl, die angepasste Verbindung von Techniken ist der Schlüssel zur Eroberung neuer Sphären.

 

Derartige Wissenschaftler jedenfalls haben herausgefunden: Da wird ein Luziferin-Molekül mittels eines Luziferase-Enzyms kombiniert und das leuchtet dann beim Zerfallen. Aha! (Ist übrigens nicht teuflisch, sondern lateinisch für „Lichtträger“.)

 

Wenn man die kleinen Molekülringe durch chemische Stimulanzien zum Leuchten bringen kann, dann wohl auch, indem man sie unter Strom setzt. Das ist das Prinzip der boomenden organischen Leuchtdioden oder OLEDs, die uns biegsame und sparsame Displays verheißen.

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Wer meisterhaft Elektronen dirigiert, der kann auch die Richtung umkehren. Wenn also Photonen Elektronenwolken verschieben, dann erhalten wir die preisgekrönte Farbstoff-Solarzelle des Schweizer Pioniers Michael Gräetzel.

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Der Höhepunkt bei der Untersuchung eines seltsamen Phänomens ist, wenn es zu breiten Nutzungen führt, die unser aller Leben bereichern.

 

5. Es gibt immer noch mehr zu entdecken

Der ultimative Durchbruch ist es, wenn eine Technik den Erfinder transzendiert, sich selbständig macht, verbreitet, in anderen Händen fruchtbar wird.

Drei Forscher haben 2008 den Nobelpreis dafür bekommen, das grün leuchtende GFP-Protein aus einer Qualle zu einem revolutionär vielseitigen Werkzeug für alle möglichen biochemische Vorgänge in Zellen zu entwickelt zu haben.

Die ach so hilfreichen Labormäuse haben nun auch eine Spezies, die leuchtet.

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Praktisch denkende Amerikaner haben gleich einen Handel mit bunt leuchtenden Zier-Zebrafischen aufgezogen, Glofish nennt sich das Tierchen.

Sheldon Cooper von der Big Bang Theory erkannte prompt deren Potenzial als Nachtlicht, das den Weg zum WC sicherer macht.

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In Montevideo gibt es sogar schon Schafe, die der Hirt auf der Weide leichter finden kann, weil sie nächtens aufleuchten.

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Was, wenn wir den Gedanken noch weiterspinnen?

Kann man die Gene für Leuchtproteine nicht auch anderswo einbringen? Man kann. 2010 wurden die Gene erstmals in eine Tabakpflanze eingebaut und leuchtende Pflanzen sind inzwischen der neueste Hit in der BiohackerSzene, „Glühpflanzen“ eben.

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Was wird wohl aus ihnen werden? Der nächste Weihnachtsbaum?

Werden eines Tages Leuchtbäume Straßenlaternen ersetzen?

Die Zukunft ist offen. Entweder werden wir alles im Überfluss haben oder eine Krise folgt auf die nächste. Vielleicht beides.

 

Damit haben wir uns vom Titelthema ein wenig entfernt, haben aber gezeigt, wie Natur und Technik zueinander kommen, und vielleicht Materialien für einige Laborübungen und Maturaprojekte gefunden.

Und das alles nur, weil auch Glühwürmchen bei der Partnersuche erfinderisch sind.

Alfred Fuchs

 

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